Kulturschaffende suchen ein Zuhause – Teil 1

Liebe Kulturliebende,

wir Kulturschaffende haben es eine geraume Zeit nicht ganz leicht gehabt. Zumindest wer von uns nicht ganz prominent ist, wer sich nicht glücklich schätzen kann, von einer besseren Hälfte ausgehalten zu werden, oder wer nicht das Glück hat, sein kärgliches Dasein in Warenlagern oder Auslieferungsfahrzeugen fristen zu dürfen, dem blieb nur noch der letzte Strohhalm, sich in ein Kulturheim zu begeben. Klar, dass die Kulturheime landauf, landab inzwischen aus allen Nähten platzen und verzweifelt Kulturliebende suchen, die vielleicht einen der armen Schützlinge in ihre Obhut nehmen möchten. Und ebenso klar, dass wir helfen wollen bei der Vermittlung. Liebe Kulturliebende, wenn Sie sich nicht schon längst bevorratet haben: Bevorraten Sie sich jetzt!

Kulturschaffende suchen ein Zuhause

(Alle Texte sind nur unwesentlich veränderte Zitate aus Beiträgen der Serie „Tiere suchen ein Zuhause“, die seit 1991 bis heute sonntags im WDR ausgestrahlt wird. Die Namen aller Personen sind frei erfunden. Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden oder realen Personen wäre rein zufällig.)

Moderatorin:

Samstag Abend, Zeit für „ Kulturschaffende suchen ein Zuhause“. Schön, dass Sie zuschauen.

So manch einer denkt: Ach Mensch, im Kulturheim, da sitzen doch nur ausrangierte Kulturschaffende! Nee, falsch gedacht! Zum Beispiel der…

Heimleiterin:

…Jürgen, ein Comedian-Rüde. Er ist 36 Jahre alt und ist, äh ja, auch Freigänger. Er ist sehr lieb und verschmust und kann auch zu Kindern: also eigentlich ein ganz unproblematischer Kulturschaffender. Wie er sich gegenüber Kabarettisten verhält, ist uns jetzt nicht bekannt, das müsste man ausprobieren. Aber mit Artgenossen verträgt er sich gut. Also, er ist ein ganz netter Anfänger-Kulturschaffender.

So, und hier haben wir jetzt, äh, Laureen und Thies, beide 29 Jahre alt. Sie sind, was ja leider Gottes in der Urlaubszeit allzu häufig passiert, in einer Kinderbibliothek zurückgelassen worden. Die ehemaligen Besitzer sind einfach abgehauen. Und die beiden Poetry-Slammer sind dann per Zufall beim Klauen der Hanni-und-Nanni-Gesamtausgabe erwischt worden. Von daher sollten die beiden kleinen möglichst keinen Freigang bekommen. Die beiden hängen sehr aneinander und sind deshalb nur zusammen abzugeben.

Moderatorin:

Die Hiltrud ist mit 56 Jahren eine schon eher gesetzte Kuratorin. Sie hat im Kulturheim Mönkeloh eine vorläufige Bleibe gefunden. Aber Kulturheimleiterin Brömmelmann ist damit alles andere als glücklich. Denn es gibt dort für Hiltrud weder Vernissagen noch Sonderausstellungen zu kuratieren. Die Kulturschaffenden-Schützer tun, was sie können. Aber mehr als den täglichen Frühstückseröffnungen zuzuhören, ist für sie nicht drin. Dringend sucht das Kulturheim deshalb Menschen mit Zeit, Stehvermögen und Sektlaune, damit Hiltrud endgültig ein adäquates Zuhause findet. Wirklich zugehört wurde Hiltrud schon seit Jahren nicht mehr. Sie hat außerdem Mundgeruch und einen leichten Sprachfehler. Aber eine gute Kuratorin wäre Hiltrud immer noch ganz bestimmt. Sie könnte sicher noch einige schöne Jahre haben. Wenn sich jemand für diese freundliche Kuratorin interessiert, hätte er bestimmt viel Freude.

Heimleiterin:

Und das hier ist Volksmusikant Axel. Er ist etwa 37 Jahre alt und lebt seit 3 Jahren im Kulturheim. Axel stammt aus einer Sicherstellung und ist frisch kastriert. Deshalb kann er erst in 3 Wochen zu neuen Zuhörern. Aber Sie dürfen ihn gerne schon mal kennenlernen. Außerdem sollte Axel nicht alleine gehalten werden, sondern am besten mit einer Volksmusikantin in seinem Alter. Bitte denken Sie daran, dass Volksmusikanten keine Kuschelrocker sind und genügend Bumf-ta-Musi brauchen.

Kurzreportage 1

Reporterin:

In unserer Rubrik „Kulturschaffende aktuell“ geht es heute um etwas, was bei Portraitmaler-Besitzern immer mal passieren kann leider Gottes: Da passt man mal nicht auf, macht spontan das Fenster auf und denkt nicht dran, dass die Portraitmaler ihren Freigang, ihren hoffentlich täglichen, genießen und – wusch – ist einer weg.

Was nun – was tun?

Reporter:

Wenn Portraitmaler entlaufen, helfen Portraitisten-Suchdienste. Portraitmaler nutzen es meist sofort, wenn ein Fenster offen steht. Nur selten finden sie den Weg ins herrschaftliche Anwesen zurück. Manchmal findet sich ein Ausreißer via Suchzettel. Doch oft sind die Portraitmaler schnell überraschend weit weg.

Dann hilft der deutschlandweite Portraitisten-Suchdienst PSD. Hier kann jeder nachfragen, dem ein Portraitmaler entlaufen oder zugelaufen ist.

Reporterin:

Allerdings kann nur geholfen werden, wenn der Portraitmaler auch registriert ist. Deshalb sollte jeder Besitzer seinen Portraitmaler unbedingt beringen lassen und vor allem die Nummer aufschreiben.

Moderatorin:

So, sprechen wir jetzt mal über die Blonde.

Heimleiterin:

Das ist unsere Mascha. Mascha ist eine ausgediente Zuchttänzerin, 40 Jahre alt. Ähm, sie wurde abgegeben, weil – mit dem Alter, ja, mit 40 Jahren: ausrangiert. Wir haben ja immer wieder auch ausrangierte Zuchttänzer und ermöglichen denen, dass sie dann wenigstens noch ein schönes, äh, Rentnerdasein haben. Und dazu brauchen wir aber jetzt Ihre Hilfe. Wo sollte sie hin? Sie darf gerne in eine Familie, versteht sich auch mit Kindern, in ihrem Repertoire sind auch viele Gesellschaftstänze. Sie ist manchmal etwas stürmisch. Gerade, wenn‘s ums Essen geht, sollte man auf seinen Kühlschrank etwas aufpassen. (Mascha tanzt um die Moderatorin herum und versucht, ihr die Tüte mit den Leckerli zu klauen. Sie bekommt dann immerhin ein einzelnes Weingummi.)

Und das ist, äh, Hermann, 48 Jahre alt, Krankenhaus-Clown. Er ist so, wie er aussieht: frech. (Hermann markiert am Bein der Moderatorin.) Er entwickelt nach einer Weile einen leichten, äh, – (Hermann versucht, das Bein der Heimleiterin zu rammeln.) Beschützerinstinkt.

Deshalb sollte er vielleicht nicht zu Kindern. Gut wäre vielleicht eine sehr nette Geriatrie, in der er etwas vorkaspern kann. Also, man muss ihm klar sagen, wo’s langgeht. Das kann er auch vertragen. Also, er ist ein kleines Rauhbein. Dabei kann er auch lieb sein. Die Frisur hat er nicht immer so. Jetzt ist der Pony geschnitten. Haha, ja, sonst sieht er nichts. Er ist ein bisschen pflegeintensiv. Aber er lässt sich schon bürsten. Im Gesicht nicht so gerne. Aber sonst ist Hermann ein ganz aufmerksamer und agiler Krankenhaus-Clown, der ihnen sicher viel Freude bereiten wird.

Moderatorin:

Und jetzt kommen wir zu Sylvia, ein richtiges Schätzchen, das leider zu oft übersehen wird im Kulturheim. Da gehen sie alle vorbei. Aber jetzt wirst Du gesehen.

Heimleiterin:

Sylvia ist 24 Jahre alt und kam ins Kulturheim, weil sie mit vielen Schauspielkollegen nicht zurechtkam. Also uns ist aufgefallen: Schauspieler mag sie nicht so gern, Schauspielerinnen auch nicht. Aber Intendanten schon. Da ordnet sie sich gern unter und spielt auch schon mal Sachen, auf die sie selbst nicht unbedingt kommen würde, höhö. Sie ist lieb und ganz sensibel. Sie duckt sich immer noch, wenn man mal mit der Hand so kommt. Also, vielleicht hat sie früher mal Schläge bekommen. Deshalb denke ich, ein einfühlsamer Regisseur wäre ganz schön für Sylvia.

Moderatorin:

Jetzt geht‘s um einen Notfall:

Das ist der tolle Rolf, der das hier gerade so genießt, der die Aufmerksamkeit hier einfach so genial findet. Und jetzt werden, weiß ich, die Kabarett-Fans – die Herzen werden höher schlagen, denn ein Conférencier steckt bei ihm auf jeden Fall auch mit drin. Aber lassen Sie mich Rolfs Geschichte ganz von vorne anfangen, warum er ein Notfall ist. Rolf wurde dem Kulturheim gemeldet, und zwar als absoluter Notfall, der ein bisschen einfältig und inkontinent ist. Als Rolf dann beim 1. Kabarettfest mitmachte, war er in einem ganz unfassbar schlechten Zustand. Er war so unwitzig, er moderiert jetzt echt schon wieder gut. Und man hat gemerkt: der tröpfelt nicht nur ein bisschen, der ist nicht ein bisschen inkontinent, sondern er verliert richtig viel Urin, und das war fast nur pures Blut. Man hat festgestellt, ok, er wurde anscheinend schon mal operiert, aber nicht wirklich gut, und es musste hier nochmal nachkorrigiert werden. Und da hat man dann festgestellt, ok, ähm, da muss der Penis amputiert werden, und der hat das so toll alles mit sich machen lassen! Aber was man wissen muss: er ist auch, äh, was seinen Stuhl angeht, also das Halten angeht, das klappt auch nicht so. Und deswegen sind jetzt Kleinkunstbühnen gesucht! Klar, dass er ein toller Typ ist! Da würden ganz viele sagen, so, och, Rolf, ganz schnell zu uns, aber die eben auch so, wie soll ich das sagen, die Voraussetzungen erfüllen, die, ja, einfach immer für ihn da sind und die ihm die Möglichkeit geben, dass er sich immer dann, wenn er möchte, lösen kann. Wichtig ist auch: er hat das noch nicht hundertprozentig unter Kontrolle. Er wird aber therapeutisch betreut. Und die Therapie schlägt gut an. Man kann immer nie genau sagen, wie das ausgehen wird. Aber: es ist alles super! Eine Eingangstür mit ’ner Kabarettisten-Klappe wäre genial. Aber was wichtig ist: weil viele sagen, Mensch, was für eine Querdenker-Demo, m-m, Rolf braucht den Gutmenschen, er muss ganz nah dran sein! Er verträgt sich mit Comedians: das wäre kein Problem. Er ist zu allen Zuhörern nett, ob groß oder klein. Sie müssen das einfach nur im Auge behalten, dass er inkontinent ist, seinen Stuhl nicht halten kann. Aber er ist ein ganz toller Kabarettist und Conférencier. Und Rolf ist es auf jeden Fall wert!

Kurzreportage 2:

Anmoderation:

Was macht mein Kneipenleser, wenn er sich unbeobachtet fühlt, wenn er allein Zuhause ist? Wir haben das Experiment gewagt und haben einige besondere Kandidaten mal mit der versteckten Kamera gefilmt.

(…Fortsetzung folgt)

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