Anekdote des Monats

Clair de Silbersee

Wo bei dieser Geschichte anfangen? Sie klingt so unglaubwürdig, dass es vielleicht egal ist. Fangen wir einfach mit demjenigen an, der in der ganzen Sache eben gerade nichts zustande gebracht hat: Fritz Lang.
1914 in Paris war der berühmte Regisseur noch gar keiner, sondern ein allenfalls großer Flausen-im-Kopf-Haber, Grüne-Fee-Liebhaber und immerhin wohl doch schon Berühmter-Regisseur-werden-Woller. Das mittlere dieser drei Attribute trieb ihn als außerordentlichen Spelunkenfrequentierer zufällig auch in just jene Lokalität, in der Claude Debussy, der längst schon berühmte Komponist, Stammgast war. Und auch Edin Satić, salonmusizierender Exilbosnier, manche kennen vielleicht seine Gymnopedija No. 1, ging hier immer wieder auf einen oder zwei oder drei Schluck Absinth vor Anker. Und so ergab es sich eines schon reichlich späten Abends, dass die beiden ja immer etwas klammen Komponisten Gefallen daran fanden, sich von dem jungen österreichischen Schnösel, der ganz schön Asche zu haben schien, für den Rest der Nacht aushalten zu lassen, und weiterhin, dass der kleine Fritz den beiden Alten von seinem großen Traum erzählte, einer Verfilmung von Karl Mays Winnetou-Roman „Schatz im Silbersee“. Nun kannten Debussy und Satić weder May noch Winnetou, wollten aber den Abend am Laufen halten und dienten sich sofort als Produzent und Filmmusiker an. Das kann man nur in meiner Heimat drehen, so Satić, in der Nähe von Bihać, wo mein Onkel wohnt, gibt es Seen, die passen aber sowas von, sag mal, wieso ist mein Glas schon wieder leer, Claude, Du hast die doch wieder vertauscht, ich weiß es genau, Du alter Halunke…
Ja, so war er, der alte Schluckspecht. Und Debussy, der tatsächlich, ganz Schnapsdrossel, erst sein Glas und dann noch Satićs halbleeres ganz leer gemacht hatte, haute Lang auf die Schulter und lallte, Ischreibdirwas – hmmp – daswirdmega, – hphu – homanocheinn, Fritz! – und kritzelte doch tatsächlich ein paar Noten auf eine Papierserviette. Und zwar eine, die mir – und da wird die Geschichte, so wahr sie auch ist, eben unglaubwürdig – gestern! in Paderborn!! zugeweht!!! wurde. Etwas ramponiert zwar. Aber die Reise war ja wahrlich weit als auch lang.
Egal, das Ergebnis, ins Klavier gegossen, hört sich an als wenn Debussy auf deutsch Böttcher (noch ’n Komponist!) heißen würde. Man höre verwundert hin

Clair-de-Silbersee

… und mag den plötzlichen Ausbruch des 1. Weltkriegs dafür verantwortlich machen, dass Fritz Lang das Filmprojekt, das sein erstes gewesen wäre, dann nie in Angriff nahm.
Ich vermute aber, der Grund war, noch in jener historischen Pariser Nacht, ein schlichter Filmriss. Der grünen Fee sei Dank!

J. Schwarzmann

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